Ein Schwerpunkt der AFS ist die Zusammenarbeit mit dem Kinderhospiz des Caritasverbandes e.V. in Berlin.

Vor einigen Jahren haben wir über den Caritasverband den heute 19jährigen Luca kennengelernt. Nach der Diagnose Myelodysplastisches Syndrom (MDS) mit 7 Jahren entwickelte sich nach einer notwendigen Knochenmarktransplantation eine schwere Form von GvHD - Graft versus Host Disease.

Ich habe Luca getroffen und durfte mich mit ihm darüber austauschen, welchen besonderen Herausforderungen er im Alltag begegnet, wie er ihnen täglich allen Widrigkeiten zum Trotz entgegen tritt und auch darüber, was er sich von seinen Mitmenschen im täglichen Umgang mit seiner Person wünschen würde.

Danke für deinen Mut, deine Gedanken mit uns zu teilen, Luca.

  1. Wie geht es dir, lieber Luca? 

Es geht. Gesundheitlich ist immer mal hier, mal da etwas. Jede Woche grätscht einem irgendetwas dazwischen und man denkt: Das muss ja jetzt nicht sein! Zum Beispiel habe ich mir vor drei Wochen den Zeh gestoßen, was bei einem gesunden Menschen nicht so ein Problem wäre. Bei mir ist das leider anders.
Genauso habe ich immer wieder Probleme mit der Haut, gerade wenn es warm ist. Es kommt oft vor, dass Stellen aufplatzen oder sich Spannungsblasen bilden. Die Haut ist grundsätzlich ein Problem. Ich habe zum Beispiel eine Stelle am Rücken, die seit einem halben Jahr offen ist. Das muss regelmäßig verbunden werden. Oder meine Füße, die drei Jahre lang entzündet waren. 

 

  1. Gibt es Tage, an denen du aufstehst und keine Schmerzen hast? 

Nein, gar nicht. Neben den genannten Hautproblemen habe ich seit ca. 10 Jahren chronische Rückenschmerzen. An diese Schmerzen habe ich mich auf eine gewisse Art gewöhnt. Medikamente helfen da schon und auch eine Wärmflasche, die ich rund um die Uhr bei mir habe. 

 

  1. Kannst du sagen, woher die Rückenschmerzen kommen?

Nein, das weiß ich nicht. Es kann sein, dass es durch den Rollstuhl und die Haltung kommt oder durch meine Fortbewegung. Wenn ich zu Hause bin, krabbel ich durch die Wohnung. (Luca kann aufgrund der Krankheit seine Knie und Ellbogen nicht strecken.) 

  

  1. Wie sieht der Alltag in deinem Leben aus? 

Wenn ich keinen Arzttermin habe, stehe ich vormittags auf, manchmal auch erst mittags, da ich durch die Krankheit oft erschöpft bin und nicht die Kraft habe, früh aufzustehen - leider. Dann nehme ich meine Medizin und spiele etwas am Handy. Danach zeichne ich ganz gern und schaue nebenbei Fernsehen. Je nachdem wie es mir geht und wie das Wetter draußen ist, gehe ich auch raus. Nachmittags dusche ich mich und später esse ich zu Abend. Danach nehme ich wieder meine Medikamente. Zum Abschluss spielen meine Mama und ich noch Spiele (Mensch ärgere dich nicht, Rummikub...) Grundsätzlich nimmt die Hautpflege über den Tag verteilt einige Zeit in Anspruch.  

 

  1. Was sind im Alltag die größten Herausforderungen für dich und deine Mutter? 

Es kostet allgemein alles sehr viel Kraft, allein ein Gang ins Bad. Mein Herz schlägt direkt schneller. Was für einen gesunden Menschen ohne Probleme geht und als selbstverständlich erachtet wird, strengt mich sehr an. 

 

  1. Hast du viele Freunde? 

Nein, leider nicht. Mir fehlen soziale Kontakte, die braucht schließlich jeder Mensch.

  

  1. Was denkst du, woran liegt es in erster Linie, dass du diese sozialen Kontakte nicht hast? 

Man hat ja doch immer den Rollstuhl im Fokus und nicht den Menschen. Das ist dann schon ein Hindernis. Dazu kommen die Herausforderungen mit dem Rollstuhl. Dieser muss gelegentlich mal geschoben werden oder ich muss einen Umweg nehmen, da nicht alle Wege Rollstuhlkonform sind. Und da haben dann viele Menschen keine Lust darauf. 

 

  1. An wen kannst du dich mit all deinen Herausforderungen wenden und wer steht dir am nächsten? 

Schon meine Mutter. Ich kann mit ihr über sehr vieles reden. Allerdings auch nicht über alles, das versteht sich von selbst. Wenn es Dinge gibt, die ich nicht mit meiner Mutter besprechen möchte, ist Frau Danlowski (Leiterin Kinderhospiz- und Familienbesuchsdienst der Caritas in Berlin) für mich da. Sie kennt meine Geschichte und weiß, wie es mir geht. 

 

  1. Ich kenne dich jetzt schon seit einiger Zeit und es ist faszinierend, wie positiv und stark du bist. Woher nimmst du deine Kraft? 

Das weiß ich nicht. Ich kann es niemandem erklären, aber es bringt mir nichts, den ganzen Tag im Bett zu liegen und mich zu bemitleiden. Ich mache lieber das Beste aus der Situation, auch wenn es nicht immer einfach ist. Ich möchte jeden Tag so gut es geht genießen. 

   

  1. Hast du auch mal Tage, an denen du keine Lust mehr hast? 

Tage nicht. Aber es gibt Phasen und Momente, in denen ich mich frage: Warum muss mir das jetzt wieder passieren? Wenn ich mir z. B. das Knie stoße oder die Haut aufschürfe, dauert die Heilung länger als bei anderen Menschen. Grundsätzlich möchte ich mich davon aber nicht runterziehen lassen. 

 

  1. Wie kommst du aus solchen Momenten wieder raus? 

Ich rege mich einfach wieder ab. Ich kann ja durch meinen Ärger nicht die Heilung beschleunigen. Mitleid bringt mir da auch nichts. 

  

  1. Wie oft kommt es vor, dass du dich fragst: Warum gerade ich? Und warum geht es anderen so viel besser?

Gar nicht! Früher habe ich mich schon mal gefragt: Warum ich? Das ist aber lange her. Ich freue mich zu sehen, wenn es anderen gut geht oder wenn es kranken Menschen wieder besser geht. Ich würde niemals jemand anderem wünschen, was ich habe, nicht einmal meinem schlimmsten Feind. Es hat niemand verdient, so etwas durchzumachen. 

  

  1. Wie denkst du über Menschen, die sich über Banalitäten, wie zum Beispiel im Stau zu stehen, aufregen? Ärgerst du dich über sie? 

Es kommt darauf an, was es ist. Um ehrlich zu sein, ärgere ich mich oft selbst eher über die kleinen Sachen als z. B. über meine Gesundheit. Ein Beispiel: Ich trage seit 11 Jahren eine Brille und schaffe es nicht, sie mal vernünftig zu putzen. Aber klar gibt es mal Momente, in denen ich mir denke: Deine Probleme hätte ich gerne! Grundsätzlich würde ich aber niemandem unterstellen, keine Probleme zu haben. Wir alle haben welche - ob groß oder klein. Man sollte niemanden beurteilen. 

 

  1. Worüber ärgerst du dich überhaupt? 

Über bestimmte Blicke, mit denen mich einige Menschen ansehen. Ich brauche kein Mitleid. Ich habe ja trotzdem ein gutes Leben, auch wenn ich durch die Erkrankung nicht das erleben konnte, was ich vielleicht wollte. 

  

  1. Was gibt dir Kraft? 

Zum einen der Glaube an Gott, zum anderen meine Mutter! 

 

  1. Bist du manchmal sauer auf Gott? 

Ich glaube schon. Wenn ich mich wieder irgendwie verletzt habe. Auf die kleinen Dinge, die das Leben dann echt wieder schwer machen. 

 

  1. Was würdest du einem Menschen sagen, der eine schlimme Diagnose erhalten hat? 

Nicht zu denken, dass jetzt das ganze Leben vorbei ist, auch wenn es im ersten Moment so aussieht, denn dadurch öffnen sich vielleicht ganz neue Türen. Ich hätte dich zum Beispiel jetzt nicht kennengelernt. Vielleicht kann man so Menschen erreichen, die man sonst nicht erreicht hätte. 

 

  1. Hättest du Lust, Menschen in ähnlichen Situationen beizustehen oder zu helfen? 

Ja. Wenn ich damit jemandem helfen kann, auf jeden Fall! 

 

  1. Welche Ziele und Wünsche hast du? 

Ich möchte gern reisen, zum Beispiel nach Italien. Oder einen Van umbauen und damit umherfahren. Dafür brauche ich aber einen Führerschein. Den möchte ich gern machen, auch wenn es in meiner Situation schwierig ist. Und noch einen Paragleitflug würde ich total gern machen. Ich möchte Menschen helfen und meine Erfahrungen teilen, gerade denen, die ähnliches durchgemacht oder noch vor sich haben. 

 

Lucas Grunderkrankung heißt Myelodysplastisches Syndrom (MDS) und umfasst eine Reihe von Erkrankungen des Knochenmarks. Die Diagnose bekam Luca im Alter von 7 Jahren. Daraufhin wurden eine Chemotherapie und eine Knochenmarktransplantation durchgeführt. Kurze Zeit später wurde festgestellt, dass noch Restzellen vom alten Blut im Körper waren. Eine weitere Knochenmarktransplantation war notwendig und diese auch erfolgreich. Allerdings brachte die zweite Transplantation eine weitere Krankheit mit sich, die Graft versus Host Disease (GvHD). Luca beschreibt die Erkrankung metaphorisch und erklärt es mit dem Kauf eines Hauses: „Das Spenderblut zieht in den Körper und empfindet das neue Haus als hässlich. Also reißen wir mal die Wände und den Boden raus.” Sprichwörtlich kämpft das neue Blut gegen Lucas Körper. Das hat viele Auswirkungen, und zeigt sich in Lucas Fall in Form von Zahn- und Haarausfall, einer defekten permanent schmerzenden Haut bis hin zu Kontraktionen im Körper, so dass Arme und Beine nicht gestreckt werden können. In anderen Fällen werden die Organe angegriffen.