Die ersten Kinder der Geschwistergruppe sind jetzt seit über zehn Jahren dabei. Zehn Jahre, in denen sie zusammen getrauert, geweint, gelacht oder sich gegenseitig zugehört und Trost gespendet haben. Einige ihrer Geschwister leben noch, manche sind allerdings in keiner gesundheitlich guten Verfassung. Aber viele Kinder der Gruppe müssen damit leben, dass ihre Schwester oder ihr Bruder verstorben ist. Was bedeutet es für ein Kind, so früh mit dem Thema Verlust und Tod eines geliebten Familienmitgliedes konfrontiert zu sein? Was bedeutet die Erfahrung, dass der Mensch, mit dem ich die ersten Lebensjahre verbracht habe, nicht mehr lebt? Wie fühlt es sich an, mit der Trauer der Eltern zu leben und das Gefühl zu haben, den verstorbenen Bruder oder die Schwester nie ersetzen zu können? Die Arne Friedrich Stiftung unterstützt das Projekt der Geschwistergruppen bei der Caritas seit mehreren Jahren und gibt Einblicke in die Arbeit der Gruppen. Nur selten hat man die Gelegenheit, so unmittelbar und nah das Schicksal von Geschwistern todkranker oder verstorbener Kinder zu erfahren und zu begreifen. Drei Jugendliche diskutierten im Rahmen der Berliner Stiftungswoche mit dem Stifter Arne Friedrich sowie Experten aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich und Stiftungsvertretern.

Seit zehn Jahren unterstützt Beate Danlowski, die Leiterin des ambulanten Kinderhospizdienstes der Caritas in Berlin, Kinder und Jugendliche mit der Geschwistergruppe. „Am wichtigsten bei dieser Arbeit ist die Haltung. Jedes Kind hat seine eigenen Bedürfnisse, die individuell beantwortet werden müssen“, erklärt sie. „Immer habe ich jedes Kind gefragt: Wie geht es DIR?“. Denn Tatsache ist, dass Geschwister kranker Kinder in den meisten Fällen auf die Familie verzichten müssen. Zumeist dreht sich alles um Krankheit, Behandlung und Krankenhausaufenthalte. In vielen Fällen zerbrechen die Familien an diesem Schicksal. 90 Prozent aller kranken Kinder und ihrer Geschwister leben in der Obhut ihrer mittlerweile alleinerziehenden Mutter. Doch auch wenn die Ehe eine solche Katastrophe überlebt, sind die Widerstände des Alltags nahezu unüberwindbar hoch. So berichtet die Mutter eines betroffenen Kindes aus der Geschwistergruppe, dass sie ihren Mann über Jahre hinweg immer nur im Krankenhaus gesehen habe. „Es existiert eben immer nur das heute – nie das morgen“, erklärt die Mutter von drei Kindern, von denen der älteste Sohn unheilbar krank ist. „Das Leben hat sich für mich relativiert, seitdem ich mit meiner Stiftung dieses Projekt unterstütze“, betont Arne Friedrich.

Zwar kann ein Projekt wie die Geschwistergruppe nicht das Leid von den betroffenen Kindern und Jugendlichen nehmen, aber dennoch entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der jungen Menschen nehmen. Gerade die Frage der Lebensperspektiven und der eigenen Zukunft ist immer wieder Thema bei den monatlichen Treffen. „Mit unserer Kunstgruppe habe ich gelernt mir die Sorgen von der Seele zu malen“, berichtet der heute 18-jährige A. Die Geschwistergruppe hatte großen Einfluss auf das Leben des heute jungen Mannes, als er mit 10 Jahren kurz nach dem Tod seines jüngeren Bruders zum ersten Mal an einem Treffen teilnahm. Hier lernte er seine Kreativität zu nutzen, um sein persönliches Drama zu überkommen, schreibt heute Gedichte die er auf Instagram publiziert und will in der Luft- und Raumfahrt beruflich Fuß fassen. Insbesondere eine Reise der Kunstgruppe nach Italien vor zwei Jahren war für A. ein Höhepunkt: „Das hat mich aus dem gedanklichen Alltag gerissen und ganz neue Perspektiven eröffnet“.

Doch die Geschwister unheilbar kranker Kinder sind noch einem ganz anderen Schicksal ausgesetzt: „Ich bin in der Schule über Jahre hinweg von Mitschülern wegen meiner Traurigkeit gemobbt worden“, erzählt die heute 19 jährige C. Als Geschwister eines kranken Kindes sei man eben Kummer gewohnt – er ist ein ständiger Begleiter im Alltag der Kinder. Auch die Lehrer haben oft nur wenig Verständnis für das Leiden der betroffenen Geschwister. „Eines Tages forderte meine Lehrerein mich auf, mich vor die gesamte Klasse zu stellen und zu erklären, was eigentlich mit mir los ist“, erzählt C. noch heute sichtlich geschockt von der mangelnden Empathie der Pädagogin. Schulwechsel, so betont ihre Mutter, sind für die meisten Geschwisterkinder leider an der Tagesordnung. Auch ihr wurde vom Lehrerkollegium einer konfessionellen Schule nahegelegt, eine andere Schule für ihre Kinder zu suchen.  Zu oft müssen die jungen Menschen nicht nur mit der Krankheit in der Familie kämpfen, sondern auch noch mit der kaltherzigen Ablehnung ihrer Mitschüler und Lehrer. „Ich wollte über Jahre eigentlich gar nicht mehr in die Schule gehen, habe alles nur noch in mich reingefressen“, berichtet der jüngere Bruder von C.. Erst in der Geschwistergruppe habe er nach und nach gelernt positiv zu denken und sich anderen Menschen zu öffnen. Insbesondere nach einem 200 Tage dauernden Quarantäneaufenthalt der Familie nach einer Knochenmarkstransplantation des kranken Bruders waren die Geschwister auf den Austausch mit Gleichaltrigen dringend angewiesen. „Masken kenne ich seit 17 Jahren. Die Hysterie um Corona hat mich am Anfang schon ein bisschen wütend gemacht“, resümiert C. den Verlauf ihrer eigenen Kindheit mit solchen Einschränkungen.

Das Treffen offenbarte jedoch nicht nur die Lebenssituation der Geschwisterkinder, sondern thematisierte abermals einen klaren politischen Systemfehler: „Die Arbeit von Hospizen und ihren über die Pflege der Kranken hinausgehenden Initiativen und Projekten wird von den Krankenkassen nur zu rund 50 Prozent finanziell getragen“, berichtet Beate Danlowski. Insbesondere für die alleinerziehenden Mütter ist die Doppelbelastung von Pflege und Berufstätigkeit oft nicht zu tragen. Viele Familien rutschen in die Armut ab und sind teilweise unerträglichen Anfeindungen ihrer Mitmenschen ausgesetzt. „Bei dem Besuch einer Familie habe ich zum Beispiel erfahren, dass Nachbarn sich dagegen ausgesprochen hatten, für das Auto einer betroffenen Mutter vor dem Haus eine Sonderparkzone eingerichtet wird, damit sie ihr schwer krankes Kind einfacher transportieren kann“, erzählt Arne Friedrich. Für den ehemaligen Fußballprofi sind solche Zustände in der Gesellschaft und Politik ein klarer „Call to action“. „Darauf müssen wir hinweisen und aktiv werden. Wir als Stiftung werden damit an die Öffentlichkeit gehen“. Für Beate Danlowski ist die Finanzierung der Geschwistergruppe seit Jahren ein harter Kampf: „Die Arbeit mit der Gruppe zu beenden war aber nie eine Option für mich – auch wenn es manchmal finanziell gar nicht gut aussah“.  Doch jetzt soll die Zukunft des Kinderhospizdienstes noch weiter gestaltet werden. Demnächst beginnen die Bauarbeiten für das Caritas-Hospiz-Zentrum „Leo“. Dort will man ab 2023 die Angebote des ambulanten Kinderhospizdienstes bündeln und die Angebote ausbauen. „Wir freuen uns sehr, dass Arne Friedrich der neue Schirmherr des Leo-Zentrums wird“, so Danlowski. „Ihr seid echte Vorbilder und Helden die gezeigt werden müssen“, lobt  Stifter Arne Friedrich die starke Haltung der Geschwisterkinder und ihrer Familien. „Wir werden euch als Stiftung und auch als Menschen immer unterstützen – und bitten natürlich auch um tatkräftige Unterstützung und Spenden für die Arbeit der Kinderhospize und ihrer unentbehrlichen Arbeit für die Familien“.